Ein Märchen - aus
neuerer Zeit
Es
war einmal ein
König...
Der König kannte nur ein Ziel und all sein Handeln war darauf
ausgerichtet:
Seine Macht und seinen Reichtum zu vermehren.
So
ließ er
nacheinander die Führer
der großen politischen Gruppen zu sich kommen und erklärte ihnen seine
Unterstützung.
Jeden Führer ließ er im Glauben, nur ihn zu unterstützen, doch er
förderte
alle durch Zuwendungen aus seinen unermeßlichen Schatzkammern. Wollte
er, daß
eine Partei die Regierung übernahm, förderte er sie durch größere
Geldzuwendungen und durch die Unterstützung seiner Freunde in den
Medien.
Doch eigentlich war es
nicht so wichtig wer gerade regierte, denn Regierung und Opposition
funktionierten nach den ungeschriebenen Gesetzen des Königs und
unterschieden
sich nur in Nebensächlichkeiten. Diese aber wurden dem Volk so wichtig
gemacht,
daß es glaubte, es könne zwischen zwei oder mehr Alternativen wählen.
Stets
profitierte die Opposition von den Fehlern der Regierung und umgekehrt.
Nach
einiger Zeit gab es einen Wechsel, der in Wirklichkeit gar keiner war,
weil auch
die Führer der Opposition die Freunde des Königs waren.
So wähnte das
Volk
sich in einer Demokratie, denn es war möglich die Regierung abzuwählen.
Nur
wenige
Menschen durchschauten das kluge Spiel des Königs.
Diese Menschen waren
die
einzigen, die dem König und seinen Freunden gefährlich werden konnten.
Also mußten
der König und seine Freunde immer darauf bedacht sein, den Einfluß
dieser
Menschen gering zu halten. Meistens schaffte es der König sie
einzubinden, in
sein diffiziles System der Abhängigkeiten und Begünstigungen. Dann
funktionierten sie so wie er es wollte.
Die Menschen, die das
System des Königs durchschauten, waren für ihn nicht wirklich
gefährlich,
solange es nicht zu viele wurden und solange sie nicht ernsthaft daran
gingen
ihre Gedanken und Forderungen in die Tat umzusetzen. Dies wäre dann wie
eine
rasch um sich greifende Seuche.
Deshalb verstand es der König
Bestrebungen
dieser Art stets im Keime zu ersticken. Ließen sich die bösen Menschen
nicht
kaufen und auch ihre Gedanken nicht verschweigen,
mußte der König zu Mitteln greifen, die er ansonsten vermied, denn er
war ein
kluger Herrscher, der sich seinem Volk gerne als Wohltäter zeigte. "Das
Gesetz gehört dem
Sklaven – ich kann es ändern so oft es mir beliebt” – war einer der
königlichen
Leitsprüche.
So erfand er stets neue Gesetze und ließ alles was gegen
seinen königlichen
Willen stand als Hetze und als Störung des öffentlichen Friedens
geißeln,
worauf hohe Strafen ausgeschrieben waren. Die wenigen Menschen, die ihm
und seine Freunden nicht
gehorchen wollten, konnte der König bald für viele Jahre einsperren und
vom
Rest des Volkes fern halten. Weil niemand genau wußte, was als Hetze
galt und
geeignet war den "öffentlichen Frieden" zu stören, wagte das Volk
bald nicht mehr offen zu sprechen, was aber durchaus im Sinne des
Königs war.
So wurde das Regelwerk aus Gesetzen und Verordnungen immer
undurchsichtiger. Die Richter ließen das
Volk im Glauben sie wären unabhängig, doch sie waren vom König
eingesetzt und
bezahlt. Die Theaterformeln ihrer Rechtsprechung konnten nur notdürftig
die
Qualität des Würfelspiels verdecken, die beim Zustandekommen ihrer
Urteile
“im Namen des Volkes” maßgeblich war.
Gleichzeitig begannen
der
König und seine Freunde das Volk immer mehr auszubeuten, denn seine
Gier nach
Reichtum und Macht war unermeßlich.
Im
Grunde verachtete der König das Volk. Doch er wußte, daß er es als
Konsumenten seiner Waren und als Zahler von Steuern und Beiträgen
brauchte. Das
Volk war sozusagen die Grundlage seiner Macht. War es willenlos und
folgsam –
war seine Macht groß und ungebrochen. So entstand auf beiden Seiten der
Macht
eine stillschweigende Übereinkunft über die ungeschriebenen Gesetze des
Königs,
die auch die Gesetze der Macht waren.
Der König wußte, was des Volkes
war und
das Volk wußte was des Königs war. Der König ließ das Volk glauben,
über
sein Schicksal bestimmen zu können und errichtete alle äußeren Merkmale
einer
Demokratie. Er errichtete Parlamente, in denen vom Volk gewählte
Abgeordnete saßen,
die glaubten, des Volkes Willen zu repräsentieren. Doch nur der König
und
seine Freunde wußten, das die Parlamente keine wirkliche Macht besaßen,
daß
sie nur zum Zweck der Kontrolle über das Volk bestimmt waren und die
Abgeordneten, gleich den Tieren im Zoo, dem Publikum ihre Spiele und
Kunststücke
vorführen durften. Der König bediente sich der Politiker, die aber nur
Schauspieler waren und ihre Rollen täglich laut vortrugen und sich
dabei großer
Beliebtheit beim Volk erfreuten.
Damit sie das Volk auf ihre Seite
brachten,
durften sie im Auftrag des Königs Wohltaten verkünden. Dabei merkten
nur
wenige, daß der König die Wohltaten durch ein kompliziertes System der
Ausbeutung an anderer Stelle wieder hereinholte. Seine Politiker
versprachen dem
Volk soziale Sicherheiten. Je mehr Menschen in die königlichen
Versicherungen
einzahlten, desto mehr konnten der König und seine Freunde Gelder
daraus
entnehmen. Und weil der König und
sein Gefolge immer mehr Geld brauchten, erfand er immer neue Wege dem
Volk das
Geld abzupressen.
Er nannte den Tribut "Steuern" und erfand deren
immer neue. Er ließ den Menschen einreden, das Geld, das sie
abzuliefern
hatten, wäre für den "Staat" also für Alle und würden dem Volk
zugute kommen. Damit die Menschen das glaubten, ließ er große Häuser
errichten, in denen seine Günstlinge saßen und Almosen unter das Volk
brachten. Aber der König hatte
nicht bedacht, daß die Arbeiter bald faul wurden, die Frauen keine
Kinder mehr
gebaren und die Menschen nur noch auf die Almosen warteten.
Deshalb
erfand der König
die Notwendigkeit der Zuwanderung. Er lockte viele Menschen aus den
armen Ländern
der Welt in sein reiches Land und ließ seinem Volk erzählen, wie
dringend das
Land diese Fremden brauchen würde. Je mehr Menschen im
Lande
waren, desto länger konnte der König seine Macht erhalten. Je weniger
sie in
die Kultur des Landes verwurzelt waren, desto willenloser wurden sie zu
den
Werkzeugen des Königs. S
So geschah bald nichts mehr, was nicht die
Zustimmung
des Königs hatte. Die
reichen Kaufleute
und
Bankiers gehörten zu den engsten Freunden des Königs, auch wenn er sich
manchmal nicht sicher war, ob sie ihm nicht gefährlich werden konnten.
Doch
auch die Kaufleute kannten nur ein Ziel: Ihre Macht und ihren Reichtum
zu
vermehren.
Sie sprachen zum König: “Helfe uns bei den Geschäften und
wir
helfen dir bei der Beherrschung deiner Untertanen. Viele Unterschiede
sind
schlecht für das Geschäft, deshalb
wollen wir die Herrschaft des Gleichen. Wir bevorzugen eine Sprache und
eine Währung.
Wir wollen keine Grenzen mehr. Wir wollen noch mehr Menschen in das
Land holen,
die Arbeit und Wohnungen suchen und unsere Waren kaufen”. Und
sie hoben an, die
Herrschaft
des Gleichen und die Welt ohne Grenzen als großen Fortschritt
anzupreisen.
Dann
sprachen sie zum König: “Wir werden die Familien zerschlagen und alle
Teile
der Familien werden eigene Wohnungen und eigene Ausstattungen brauchen.
Damit
die Menschen nicht auf dumme Gedanken kommen und aufsässig werden,
dürfen wir
ihnen nicht zu viel lassen, so daß sie immer mehr arbeiten müssen um
ihre
Rechnungen und Mieten bezahlen zu können. Also werden sie ihre Kinder
deinen
Lehrern überlassen. So bekommst du die Macht über sie. Und du bekommst
von uns
Geld für deine Paläste und Diener. Aber du bekommst noch mehr:
Untertanen, die
niemals deine Macht in Gefahr bringen werden”.
Der
König fand
Gefallen an den
Vorschlägen seiner Freunde.So
trafen sie sich in ihrem Interesse und fanden stets Wege, ihren Einfluß
auf den
Lauf der Dinge zu haben.
Das
Geschäft wurde das
Wichtigste im Staate. Dazu mußten der König und seine Freunde die
Menschen den
Gesetzen des hemmungslosen Konsums unterwerfen.
Alsbald wurden die
Menschen
schon als Kinder darauf vorbereitet. Die Werbung war überall und der
Konsum
bestimmte das Leben. Es gelang dem König die Begriffe umzudeuten, so
daß bald
das Normale als abartig und das Abartige als normal galt. Die
Banken gaben bunte
Papiere
aus, die den Menschen Anteile an wunderbaren Konzernen versprachen.
Aber die
Konzerne bestanden nur aus Luft und vielen schönen Worten und die
Menschen
verloren ihr Geld und wurden in ihrem haltlosen Streben nach Reichtum
nur noch
ärmer.
Um das Volk
abzulenken,
schuf der König ein buntes Fernsehen und großartige Gewinnspiele, die
den
kleinen Menschen das große Glück vorgaukelten. Doch das Leben wurde
immer
leerer und der Geist flacher.
Der
König teilte den Staat in drei
Kasten:
Die oberste Kaste war die der Herrscher. Das waren der König
und seine
Freunde, die mächtigen Kaufleute.
Die mittlere Kaste war die der
Helfer. Das
waren die Politiker, die Richter, Polizisten und Beamten, die vielen
Menschen,
die die Aufgabe hatten die Macht des Königs zu erhalten. Die Helfer
hatten
geliehene Macht. Sie waren nicht wirklich mächtig, denn ihnen konnte
die Macht
jederzeit wieder genommen werden. Sie waren auch nur so reich, daß sie
glauben
konnten sich vom gemeinen Volk abzuheben.
Schließlich die unterste und
größte
Kaste: Das gemeine Volk, tributpflichtig und machtlos, infiziert mit
dem süßen
Gift der Illusionen.
Das Volk wurde ärmer
und
murrte
Da der König ein mißtrauischer Herrscher war, wurde die Kaste
der
Helfer immer größer und kostete dem König immer mehr Geld. Er ließ das
Volk
immer lückenloser überwachen, denn nichts fürchtete der König mehr als
einen
Tribun, der seinen Geist rein halten, die königlichen Machenschaften
durchschauen, und das Volk gegen ihn aufbringen konnte.
Und wenn sie
nicht
gestorben sind, so leben sie noch heute.
Ein
Märchen?
(Roland Wuttke)